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Und da hinten beginnt der Tagebau (1)

Jetzt wohne ich am Rand des Braunkohlen-Tagebaus Hambach. Nun gut, nicht ganz, erst 2022 oder so werden die Bagger bis auf 500 m an unser Haus heranrücken. Das ist für mich allerdings nichts Neues. Ob Zufall oder nicht: Ich habe fast mein ganzes Leben lang sagen können: Da hinten beginnt der Tagebau ….

1. Station: Hürth-Kalscheuren und Oberliblar

Es ist vielleicht gar nicht mal übertrieben, wenn ich sage, 1946/47 hat die Braunkohle meine Familie gerettet. Denn damals bekam mein Vater eine Anstellung als Kutscher bei einem Kohlehändler in Hürth-Kalscheuren. Wahrlich kein Traumjob für einen studierten Landwirt und Gutsbesitzer. Aber nach dem Krieg war mein Vater alleine bei Nacht und Nebel aus dem Osten in die Nähe von Stade geflohen, weil er als Gutsbesitzer, Offizier, Parteimitglied und Ortsbauernführer im kommunistischen Herrschaftsbereich kaum eine Überlebenschance hatte. Meine Mutter und die vier Kinder gelangten derweil nach Hürth-Fischenich und wurden in einer Notunterkunft untergebracht. Oft genug war nicht genug zu essen da, die Kinder gingen zur Armenspeisung bei irgendwelchen Nonnen. Da kam die Tätigkeit als Kutscher gerade recht. Mit Pferden konnte mein Vater seit frühester Kindheit umgehen, die Familie war wieder zusammen und etwas Geld kam auch herein – dank der nahen Brikettfabrik, von der mein Vater mit Pferd und Wagen die Braunkohle-Briketts abholte.

Mein Vater als Kind auf seinem Pony - im Wagen die beiden Geschwister, mein Großvater und das Kindermädchen (1907)

Mein Vater als Kind auf seinem Pony – im Wagen die beiden Geschwister, mein Großvater und das Kindermädchen (1907)

Nicht viel später fand er dann eine Anstellung bei der Landwirtschaftskammer Rheinland als Landwirtschaftsberater. Die Familie war aus dem gröbsten heraus und man begann, sich nach einem preiswerten Grundstück für ein Haus für die inzwischen siebenköpfige Familie umzusehen, nicht zu klein, denn es sollte Platz sein für einen Gemüsegarten und eine Hühnerhaltung. Solche Grundstücke bot die Gemeinde Oberliblar für umgerechnet 0,25 ct pro qm an, spottbillig, aber mit einem Nachteil. 500 Meter entfernt rauchten die Türme der Brikett-Fabrik „Donatus“ in Oberliblar, direkt dahinter ein Tagebau, Richtung Norden kaum 400 m entfernt ein weiterer Tagebau.

Brikettfabrik Donatus - links unten die Arbeitersiedlung Oberliblar

Brikettfabrik Donatus – links unten die Arbeitersiedlung Oberliblar

Das Haus wurde trotzdem gebaut und 1953 bezogen. Über die Strasse fuhren in regelmäßigen Abständen mit Kohle beladene LKWs, bei Nord- oder Ostwind rieselte der Staub. Nicht etwa der Feinstaub, von dem heute so viel geredet wird, sondern richtiger, braunschwarzer Kohlestaub. Samstags mussten wir Kinder immer rund ums Haus die Wege kehren, da kam einiges zusammen.

bmotorrad

Mein Vater auf dem Motorrad, ich auf dem Rücksitz; im Hintergrund das neue Haus im Rohbau (1953)

„Leise rieselt der Dreck, kehren hat keinen Zweck …“ sangen wir nach der Melodie von „Leise rieselt der Schnee“ – –  Hat uns die Braunkohle gestört? Als Kind hat man andere Probleme und meine Eltern waren froh, wieder ein Dach über dem Kopf und Gemüse im Garten zu haben. Das einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass meine Mutter, als wir um 1960 an die See fuhren, sagte: „Endlich mal richtig saubere Hände.“

Irgendwann gab es rund um Oberliblar keine Kohle mehr. Als ich im zweiten Schuljahr war, machten wir eine Wanderung, um zuzusehen, wie die Türme der Brikett-Fabrik gesprengt wurden. Kaum zwei Jahre später gingen wir in dem See, der sich in dem Tagebau-Loch gebildet hatte, schwimmen. „Lido“ nannte der Volksmund diesen See. Heute heißt er „Liblarer See“ und ist der beliebteste und sauberste Badesee südlich von Köln.

(Fortsetzung folgt)