Jetzt reicht’s: Arno Schmidt – Kosmas, Tina, Goethe

(… weil ich alle Bücher, die ich gelesen habe, hier vorstelle ….)

Ich lese ja gerne Arno Schmidt. Aber jetzt reicht es mir vorläufig. Die drei längeren Erzählungen, die in diesem Band versammelt sind, gehören sicherlich auch nicht zu dem besten, was der Meister aus der Lüneburger Heide so geschrieben hat.

Interessiert hat mich die Erzählung „Tina oder über die Unsterblichkeit“, weil ein Freund gerade an einem Roman mit einem ähnlichen Thema arbeitet: Ein Besuch in der Welt der Toten. Arno Schmidt meinte offensichtlich, er müsste das ganze mit einer – nein, nicht Liebes-, sondern – Sexgeschichte anreichern, wobei er der Frau unmissverständlich Züge einer Hexe gegeben hat. Ganz witzig: Er dreht die Sache um. Die Unsterblichen freuen sich nicht an ihrer Unsterblichkeit, sondern sind dazu verdammt, so lange im Jenseits weiter zu leben, wie auf der Erde jemand an sie denkt. Oder, bei Schriftstellern, so lange, bis niemand mehr ihre Werke liest. Warum es im Jenseits so schrecklich sein soll, habe ich nicht verstanden, denn die Leute dort führen bei Arno Schmidt ein durchaus vergnügliches Leben, das weitgehend identisch ist mit dem auf der Erde.

In der dritten Erzählung kommt Goethe aus dem Jenseits zu Besuch auf die Erde. Guter Gedanke, zu dem Arno Schmidt aber nicht viel eingefallen ist. Was bei der Lektüre haften bleibt, ist nur, dass Arno Schmidt Goethe nicht leiden kann. Nun gut, daraus hat er auch sonst keinen Hehl gemacht.

Bei „Kosmas“ geht es dann ins 3. Jahrhundert, ins römische Reich. Die Geschichte ist dünn, wieder darf sich der männliche Ich-Erzähler an und mit einer schönen jungen Frau ergötzen. Wieso diese junge attraktive Frau ausgerechnet auf den alten, in sein Wissen und Bücher verliebten Ich-Erzähler hereinfällt, lässt sich nicht aus der Text, wohl aber aus der Psyche des Autors erklären. Daneben breitet Arno Schmidt aufdringlich allerlei Lesefrüchte aus. Er hatte ja eine Vorliebe für vergessene oder völlig unbekannte Texte. Das Problem: Konnte er zu seiner Zeit hemmenglos bluffen, weil er damit rechnen konnte, dass (fast) niemand außer ihm diese seltenen Bücher zu Gesicht bekommen würde, hat das Internet das grundlegend geändert. Zwei Stellen, an denen er eine hanebüchene Geschichte als historische Tatsache auftischt, die das Christentum diskreditieren soll, habe ich nachgeprüft: Ist nicht viel dran.

Ein asturischer Brennholz-Deal

Zwar haben die meisten Asturier eine Gasheizung oder elektrische Heizkörper. Doch Strom und Gas sind teuer und so wird die Heizung nur angemacht, wenn es wirklich kalt ist, also in guten Jahren nur ein paar Wochen. Meist reicht der „Cocina“ genannte Holzherd in der Küche. Ein Holzherd aber braucht Holz, Brennholz muss her, und zwar umsonst, denn sonst könnte man ja direkt man Strom oder Gas heizen.

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Viele besitzen eine Wiese, zu der auch etwas Wald gehört, oder sie kennen jemanden, der Hecken oder Bäume hat. Ein Problem hat man allerdings, wenn man keinen Traktor hat, um das Brennholz von irgendeiner abseits gelegenen Stelle ins Dorf zu transportieren. Das ist bei zwei Brüdern der Fall, deren Traktor schon vor zwei Jahren den Geist aufgegeben hat, aus Altersschwäche,  mehr aber aufgrund der allzu rauen Behandlung. Das wissen alle im Dorf und deshalb leiht den beiden auch niemand einen Traktor. Sie müssten für einen oder zwei Tage einen der zahlreichen Gelegenheitsarbeiter mit Traktor bezahlen. Das wären 100 oder gar 200 € – viel zu viel für Viehzüchter, die von 8 Kühen, Subventionen und Sozialhilfe leben. Eine Motorsäge liegt bei den beiden im Schuppen herum, aber ob sie noch einmal anspringen wird, ist eine kniffelige Frage.

Das Problem wird in der Dorfkneipe mit den Vettern aus dem Nachbardorf erörtert. Die Vettern haben das gleiche Problem: Sie brauchen Brennholz, haben kein Geld und keinen Traktor. Die Vettern haben ihren Traktor nicht zu Schrott gefahren, sondern gewinnbringend verkauft, als sie die Viehzucht aufgegeben haben, um ihr Geld auf dem Bau zu verdienen, was ihnen seit dem Zusammenbruch der spanischen Bauwirtschaft nicht leicht fällt. So haben die beiden Vettern viel Zeit, außerdem besitzen sie zwei funktionsfähige Motorsägen.

Zum Glück gibt es im Dorf der beiden Vettern einen jungen Mann, der gerade die Schule abgeschlossen hat und arbeitslos ist. Dessen Vater arbeitet im Straßenbau, hat seinen alten Traktor aber nicht verkauft, so dass der Sohn mit dem blauen Ford-Traktor nebst Anhänger Geld verdienen kann, indem er Sand, Kies, Ziegelsteine, Müll oder was auch immer transportiert. Holz braucht natürlich auch diese Familie – und so ist der Deal bald perfekt.

Die beiden Brüder sind in einer guten Position: Das Waldstück, in dem sich alle bald an die Arbeit machen, gehört ihnen zwar nicht, es grenzt nur an ihre Wiese. Eigentümer sind die „Argentinier“, eine Familie, die so genannt wird, weil sie vor gut 60 Jahren nach Argentinien ausgewandert ist und das Wohnhaus, alle Wiesen, Ställe und Waldstücke einfach zurückgelassen hat. Ab und zu kommt mal jemand aus Argentinien vorbei und schaut, wie die Bäume wachsen, das Unkraut wuchert und die Ställe verfallen. Um nun zu dieser ergiebigen Brennholzquelle zu gelangen, muss man allerdings eine Wiese der beiden Brüder überqueren, der alte Zugangsweg ist in dem halben Jahrhundert zugewachsen.

Die Brüder also geben den beiden Vettern und dem jungen Mann das Recht, ihre Wiese zu überqueren. Im Gegenzug fällen und zerlegen die beiden Vettern mit ihren Motorsägen die Bäume, der junge Mann hilft beim Auf- und Abladen und übernimmt die Traktorfahrten. Für die beiden Brüder werden auch zwei Fuhren gefällt und transportiert.

Zwei Tage lärmen die Motorsägen, rumpelt mehrmals täglich der blaue Traktor vorbei. Dann ist genug Brennholz für alle da. Die kleineren Äste werfen sie auf einen Haufen und zünden sie an, aber das Feuer geht schon bald wieder aus.

Das Holz – Ahorn, Esche und Haselnuss – wird nicht gelagert und getrocknet. Eschenholz brennt auch frisch geschlagen prima, sagt man in Asturien, das wisse doch jeder. Und weil es in Spanien weder eine Bundesimmisionsschutzverordnung noch Schornsteinfeger gibt, die die Einhaltung derselben gegen Gebühr überwachen, wird bald rings um die Dörfer die frische Bergluft etwas weniger frisch sein als in der warmen Jahreszeit.

Im Strandatelier

Die Leute halten mich für bekloppt. Bin ich vielleicht auch, aber seit Monaten sitze ich jeden Tag stundenlang am Computer und arbeite an meinem Buch, über das ich hier im Blog schon mehrmals berichtet habe. Allmählich, ganz allmählich rundet sich das Ganze, aber ich stoße doch immer noch auf Rätsel, die dann dazu führen, dass ich für einen Satz oder nur eine Fußnote suche und suche, überlege und überlege.

Das obige Bild ist so ein Fall. Abgebildet sind zwei Tanten von mir. Das war leicht, denn die Namen stehen auf der Rückseite. Und die Angabe „Kahlberg 1918“. Auch das war leicht, denn das Ostseebad Kahlberg (poln. Krynica Morska) am Frischen Haff kommt sehr oft vor in dem Buch. Dort hatte der eine Großonkel ein Ferienhaus, dort verbrachte der Großvater mit seiner Familie regelmäßig die Sommerferien.

Aber der Strand von Kahlberg, von man zahlreiche historische Aufnahmen im Internet finden kann, sah ganz anders aus als der Strand hinter den beiden Mädchen.

Bestimmt eine Verwechselung. Also habe ich mir alle möglichen Strände in der Gegend in alten Bildern angesehen. Sehen aber alle anders aus, vor allem so einen Turm und ein derart hohes Windrad hat es nirgends gegeben. Und wenn es solch ein Ostseebad gegeben haben soll, dann habe ich es jedenfalls nicht gefunden.

Nun sieht man auf den ersten Blick, dass es sich dabei um einen gemalten Hintergrund handelt, dass die Cousinen sich also in einem Fotoatelier befinden. Aber trotzdem: Wenn die Aufnahme in Kahlberg bei einem Fotografen entstanden ist, wieso zeigt der Hintergrund dann ein anderes Ostseebad? Ich habe die Sache beiseitegelegt, das Bild lag lange vor mir auf dem Schreibtisch.

Durch einen Zufall habe ich die Lösung gefunden. Im Internet bin ich nämlich auf der Suche nach einer bestimmten Ferienpension auf ein ganz ähnliches Foto gestoßen. Und da stand, dieses ähnliche Foto sei im „Strandatelier“ des Fotografen Emil Thomae entstanden, der in der Altstadt von Elbing am Inneren Mühlendamm sein Fotostudio hatte.

„Strandatelier“, weil der Hintergrund am Strand aufgespannt worden ist. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die beiden Mädchen im Sand stehen. Emil Thomae hatte sich darauf spezialisiert, im Sommer von Ostseebad zu Ostseebad zu reisen und überall sein „Strandatelier“ aufzubauen. Weil er also nicht auf einen Ort spezialisiert war, hat er sich einen Universalhintergrund malen lassen …