Vom Kohleausstieg und vom Seilziehen

Das Dorf ist voller Polizisten und Demonstranten. Kohleausstieg, am liebsten sofort, fordern sie lautstark.

Schaun wir uns mal die Daten an, und zwar für heute, 5. November, 9:00 Uhr, als die Demonstration los ging. Die Daten findet man leicht im Internet auf der Seite von „Agora Energiewende“ – ein Lobbyverein für erneuerbare Energien, also durchaus unverdächtig, falsche Daten zu liefern.

Um 9:00 Uhr wurden bundesweit 53,4 GW verbraucht. Davon lieferte die Sonne 2 GW, Wind offshore 1,6 GW, im Binnenland 8,8 GW, macht zusammen 12,4 GW, dazu noch 2,37 Wasserkraft, dann haben wir mit etwa 15 GW ein wenig mehr als 1/4 des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen. Rechnet man noch die gut 5 GW aus Biomasse dazu (deren Produktion nur bei sehr blauäugiger Betrachtung als regenerativ gelten kann), dann sind wir bei gut einem Drittel.

Der Rest ist Kernkraft (10,1 GW), Kohle (31,4 GW) und Gas (10 GW). Kernkraft wird bekanntlich bald entfallen, fällt jetzt auch noch die Kohle weg, dann bleibt eine Produktion von etwa 30 GW, also entsteht eine Lücke von 23 GW.

Das ist, wie gesagt, eine zufällige Momentaufnahme. An anderen Tagen sieht es noch viel schlechter aus, beispielsweise am 3. November um 17:00 Uhr. Weil dann überall in Deutschland die Sonne untergegangen ist,  entfällt die Solarenergie völlig. Wind war zu dem Zeitpunkt auch nicht viel, nur 5 GW; Wasser und Biomasse tragen wie immer gut 5 GW bei, macht zusammen 10 GW. Weil aber nicht Sonntagmorgen ist, sondern Freitagnachmittag, ist der Stromverbrauch viel höher: 72 GW. Die Differenz von gut 60 GW liefern wie immer Kernkraft, Kohle und Gas.

Man sieht an dem Beispiel auch, dass ein weiterer Ausbau der regenerativen Energien nicht viel bringt. Auch wenn die Solarfläche verzehntfacht wird, scheint nach Sonnenuntergang nun mal keine Sonne. Wasserkraft ist in Deutschland kaum ausbaubar, große Staudammprojekte will niemand. Man müsste also die Zahl der Windräder verzehnfachen oder die Anbaufläche für Biomasse verzwanzigfachen. Letzteres wäre nicht zielführend, weil schon jetzt selbst die Experten der NABU dem großflächigen Anbau von Silomais eine vernichtende Umweltbilanz attestieren. Aber selbst eine Verhundertfachung der bestehenden Windräder ändert nichts an der Tatsache, dass manchmal in ganz Deutschland, auch an der Küste, kein Wind weht, der stark genug wäre, um in nennenswertem Umfang Energie zu produzieren.

Der Einwand „irgendwo weht doch immer Wind“ zieht nicht, denn erstens ist oft genug über Deutschland ein Hochgebiet, so dass nirgends Wind ist. Zweitens wächst die Energieausbeute aus einem Windrad nicht linear zur Windgeschwindigkeit, sondern exponentiell, d.h. bei wenig Wind drehen sich die Dinger zwar, liefern aber so gut wie keinen Strom.

Und was ist mit dem Exportüberschuss, von dem die Grünen immer reden? Produziert Deutschland nicht viel zu viel Strom? Auch darüber gibt die Website von Agora Auskunft. Heute morgen um 9:00 Uhr betrug der Export 9 GW – eine Menge Strom, aber weil gleichzeitig 3 GW importiert worden sind, bleibt als Saldo 6 GW. Zur Erinnerung: Gleichzeitig liefern Kernkraft und Kohle über 40 GW Strom. Weil, wie gesagt, an einem Sonntagmorgen wenig Strom verbraucht wird, ist der Saldo relativ hoch, der geht auch schon mal gegen Null, ist andererseits nur ganz selten höher als 10 GW – das könnte also allenfalls die Kernkraftwerke ersetzen, deren Abschaltung schon beschlossen ist.

Stromspeicher könnten die Sache entzerren. Aber es gibt so gut wie keine. Gigantische Pumpspeicherwerke sind große Energievernichter, sehr teuer und politisch kaum durchzusetzen, gerade aus ökologischen Gründen. Batterien haben eine grauenhafte Umweltbilanz.

Die ganze Diskussion um Stromspeicher krankt auch daran, dass die meisten Leute eine völlig falsche Vorstellung haben, wie das mit dem Zurverfügungstellen von Energie geht. Unausrottbar ist die Vorstellung, es gäbe da irgendwo so etwas wie einen riesigen Stromsee, in den die  verschiedenen Produzenten ihren Anteil einspeisen und aus dem dann die Verbraucher ihren Strom abzapfen. Wenn das so wäre, wäre das Problem der Energiespeicherung nicht so brisant. Tatsächlich muss man sich das ganze aber so vorstellen wie beim Seilziehen: Auf der einen Seite ziehen die Verbraucher, auf der anderen die Produzenten. Und wenn die Produzenten nur ein paar Sekunden nicht stark genug ziehen, dann purzeln alle auf den Boden.

Fragt sich also, was passiert, wenn die sauberen Herren von der Solarenergie ihren üblichen Nachtschlaf halten und die Windradmannschaft sich mal wieder ein paar Tage Urlaub gönnt. Dann kommen die Wasserleute und die Maismänner aber ganz schön ins Schwitzen. Ob die, die jetzt da draußen für den sofortigen Kohleausstieg demonstrieren, dann ihren Leuten zur Hilfe kommen werden, indem sie Computer, Kühlschrank und Heizung ausstellen und mit Wäsche bis übermorgen warten?

 

 

20 Gedanken zu „Vom Kohleausstieg und vom Seilziehen

  1. Daggi Dinkelschnitte

    Wenn schon Kohle, dann sollen die Reste hier unter mir teuer ausgebuddelt werden, auch wenn dann der DAX jammert.Aber mit dt. Waffen die billige Kohle in Kolumbien zu erobern, ist der allerletzte Dreck. Kolumbianer erschießen, damit Dieter Bohlen auf Sendung gehen kann, ist Terror.

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    1. emhaeu Autor

      Scheint so, als ob im Deutschen als solchem ein kleiner Superspätromantiker sitzt, der immerzu brabbelt: (…) und man in Märchen und Gedichten / Erkennt die wahren Weltgeschichten / Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort.“
      Und dabei wollte der arme Novalis doch nur Aufklärung und Mystik miteinander vermählen, auf das ein neues, höherentwickeltes Kind gezeugt werde.

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  2. juergenkuester

    Lieber Martin!
    Vielen Dank fuer die Fakten – wenn es denn harte Fakten sind. Ich kann mich an Beiträge von Dir erinnern, die sich genau mit diesem Thema “ der Wahrheit” beschäftigt haben und hinter genau hinter solchen Fakten Fragezeichen machten.
    Und es bleibt, denn ich spüre zwischen den Zeilen einiges an Ironie und leichtem Schmunzeln, eine Frage: was willst Du mir genau sagen?
    Liebe Grüße aus Wachtendonk, heute etwas kratzbürstig,
    Juergen

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    1. emhaeu Autor

      Lieber Juergen!
      Was will ich sagen … ein wenig wie eine Unterrrichtsstunde: Da habt ihr Material, jetzt kommt die Stillarbeitsphase ….
      Aber im Ernst: Das sind, soweit ich sehe, wirklich harte Fakten, denn die Website von Agora steht nicht in Verdacht, da irgendetwas manipulieren zu wollen, die sind ja 100% für die erneuerbaren Energien. Bin ich ja auch, aber mir ist aufgrund der Zahlen einfach unklar, wie das gehen soll, jedenfalls in den nächsten vielleicht 10 Jahren. Und natürlich hätte ich es lieber, wenn der Tagebau vor meiner Haustüre nicht immer näher käme. Dass die Braunkohle eine Übergangstechnologie ist, die langsam aber sicher ausläuft, bezweifelt niemand. Mir scheint nur, dass man da sehr behutsam vorgehen muss, um nicht eine funktionierende Stromversorgung aufs Spiel zu setzen. Ich weiß noch, wie das in Polen in den 90er Jahren war. Da flackerten ständig die Lampen, stand man an der Tankstelle, dann hieß es öfters achselzuckend: Nie ma prądu … kein Strom da. –
      Wenn man wirklich mit den Stromangebot auskommen will, das sich mit den Erneuerbaren bereit stellen lässt (jedenfalls in einem so weit nördlich gelegenen Land wie Deutschland), dann müssten alle Verbraucher ihren Verbrauch extrem reduzieren und viele Einschränkungen akzeptieren. Das geht, in unserem Häuschen ins Asturien kann ich vorführen, wie man mit einem einzigen Solarpanel angenehm leben kann. Aber wer ist schon bereit, auf Waschmaschine, Geschirrspüler, Staubsauger, TV = alles, was über 100 W braucht, zu verzichten? Und welcher Politiker bzw. „Aktivist“ sagt den Leute klipp und klar, dass sie auf viele Bequemlichkeiten verzichten müssten?
      Einen schönen Gruß!
      Martin

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      1. juergenkuester

        Lieber Martin!
        Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Deine Bemühungen weiss ich zu schätzen.
        Jetzt habe ich verstanden, vor allen Dingen auch verstanden, wo Du persönlich in dieser Thematik stehst und welche Postion Du einnimmst, und pflichte Dir bei.
        Liebe Grüße Juergen

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  3. Susanne Haun

    Danke für die harten Fakten, Martin!
    Ich lese deine Berichte immer sehr gerne. Es scheint als seien wir (der Mensch) in einer ausweglosen Situation. Und das nicht nur beim Thema Strom!
    Neulich habe ich in den Nachrichten gehört, dass wir nicht genug Rohstoffe auf der Welt für die Akkus der Elektroautos hätten, wenn wir aus den Verbrennungsmotoren „ausstiegen“.
    Ob wir doch Schiffe ins All senden müssen um auf fernen Planeten Rohstoffe zu suchen?
    Einen schönen Sonntag von Susanne

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      1. Susanne Haun

        Es war mein erster Wunsch als Teenager, ich wollte Astronatin werden und fremde Welten erkunden. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich SF gelesen habe, zuerst bevorzugt von Robert A. Heinlein …..
        LG Susanne

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      2. emhaeu Autor

        Heinlein? Kennst du auch „Stranger in a Strange World“ – Fremder in einer fremden Welt, das ich gerade verschenkt habe? Eine tolle Parodie u.a. auf die Scientologen – Heinlein war ja gut bekannt mit Hubbard. und mit Jack Parsons, ein Okkultist und Hubbard-Freund, der einer der großen Raketentechniker der USA war ….

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      3. Susanne Haun

        Ja, ich kenne alle Heinlein Bücher 😉
        Ich war 12 Jahre alt als ich das erste Buch von ihm las 🙂 Es war die Kurzgeschichte The man who sold the moon. Danach habe ich die Geschichte von Mike gelesen, den Computer des Monds, der Bewußtsein entwickelte.
        Über Heinlein kam ich zu Asimov, Philip José Farmer und Philip K. Dick.
        Die Bücher stehen heute bei meinem Bruder im Regal. Er las sie nach mir und wie die Asterix blieben sie in unserem Kinderzimmer als ich als erste auszog.
        Die Bücher stehen bei meinem Bruder gut, er hegt sie und manchmal setzt er sich in seinem Schaukelstuhl zwischen den Regalen und blättert in „unserer Jugend“ und liest mal hier und mal da.
        Stranger in a Strange World überforderte mich als Teenager – ich musste es später nochmal lesen 😉
        Tja, die Raketentechnik in der USA, Leid und Fortschritt zugleich … auch ein interessantes Thema … Als junge Informatikerin fand ich das alles sehr interessant …. Deshalb habe ich fast Tränen der Rührung in den Augen gehabt als ich den Film Hidden Figures gesehen habe. Das Gefühl, einen Computer die Befehle über Lochkarten zu geben, kenne ich noch gut …..
        Einen schönen Abend von Susanne

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  4. Henning zu Henningsheim

    Um den 26.01. herum waren wir schon einmal hart am totalen Kollaps. Es gab einen Brandbrief der Energieversorger zu diesem Thema. Letztendlich wird mit zehntausenden Toten gerechnet, träte der Ernstfall ein. Eine Religion ist allerdings schwer zu stoppen.

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      1. Henning zu Henningsheim

        Ja, man sollte vorbereitet sein. Den meisten Mitbürgern wird das erst klar werden, wenn sie hungernden und frierend in ihren Wohnparks umher irren. Dabei würde ein wenig gesunder Menschenverstand ausreichen, die Welt zu verstehen.

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  5. Ulli

    Ich mag es, wenn du faktisch bist! Danke, ich kann nur lernen und denke manchmal, was ich doch für ein nettes Blauauge bin 😉
    herzliche Grüße
    Ulli am PC mit fast allen Lampen an (klar, Energiesparbirnchen, lach)

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      1. Ulli

        Ja 🙂
        im Kleinen funktioniert das, hier auch, mit Windrad und Holz und einer Gasflasche fürs kochen und warme Wasser, aber…
        liebgrüß

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  6. Pit

    Lieber Martin,
    Du sprichst mir aus dem Herzen. Nicht, dass ich absolut gegen alternative/regenerierbare Energie waere, aber sie sind nun einmal wirklich nicht alleinseligmachend. Zu Deiner Statistik noch: es gab da neulich [beim Sturmtief Herwart war es, glaube ich] eine derartige Ueberproduktion von Windstrom, dass auch dadurch das Netz zusammengebrochen ist.
    Liebe Gruesse,
    Pit

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    1. emhaeu Autor

      Lieber Pit,
      fein, da sind wir schon 2 …. aber klar, je mehr regenerative, desto besser, aber so einfach ist das halt nicht.
      Schönen Sonntag!
      Martin

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