Nachhaltige Kleidung

Auf einem Familientreffen voriges Wochenende klagte jemand, wie schwer es sei, einen guten Laden für nachhaltige Mode zu finden.

Da konnte ich auch nicht helfen, war auch nicht gefragt, denn die Frage richtete sich sowieso an das weibliche Geschlecht. Nachhaltige Mode ist ein Widerspruch in sich, lag mir auf der Zunge. Aber erstens gehört es auf unseren Familienfesten zur Tradition, den anderen nicht etwa zu provozieren und über alle eventuellen Jeckheiten großzügig hinweg zu sehen. Und zweitens wäre diese eher theoretische Erörterung nicht hilfreich gewesen.

Hätte sich denn jemand für meine Meinung interessiert, dann hätte ich meinen Vater als leuchtendes Beispiel herausstellen können, obwohl der den Begriff „Nachhaltigkeit“ sicherlich ausschließlich in der Forstwirtschaft verortet hätte, aus welcher der Begriff ja auch stammt.

Mein Vater trug Anzüge. Grundsätzlich. Die wurden in Köln in einem Herrenmoden-Geschäft gekauft, das es längst nicht mehr gibt. Nicht das teuerste, aber gute Qualität. Zwei Anzüge für Herbst und Winter, zwei für die wärmere Jahreszeit. Reine Schurwolle war ein Muss, für den Sommer auch Leinen. Produktion in Deutschland, vielleicht auch England, Wolle von europäischen Schafen, Leinen von europäischen Feldern. Kein Verbrauch von nicht-erneuerbaren Ressourcen, kurze Transportwege. Natürlich wurden die Anzüge lange getragen. Wenn sie nicht mehr bürofähig waren, dann halt im Haus, später zur Gartenarbeit. 

Gewaschen wurden die Anzüge nie, waren auch nicht waschbar. Flecken machte meine Mutter mit K2R raus, ihrem Lieblingsmittel. Kein Verbrauch an Trinkwasser, kein Waschmittel im Abwasser, keine Waschmaschine braucht Strom.

Sportkleidung oder Freizeitkleidung gab es nicht. Nur eine Skihose, Kniebund, und ein Skianorak, beides hielt, da wirklich nur zum Skilaufen getragen, ewig. Für die Arbeit im Stall und im Garten gab es einen Arbeitskittel, wenn er bei Regen aufs Feld musste, einen Regenmantel, Kleppermantel genannt. Regenschirme lehnte er als unmännlich ab. Wieder jede Menge Material und Energie gespart.

Unterhemden oder gar T-Shirts trug mein Vater grundsätzlich nicht, immer Oberhemden, er hatte keinen einzigen Pullover, im Winter kam halt der Anzug mit der Weste dran. Bei den Hemden (alle weiß, bläulich oder rötlich, nie Muster, nur reine Baumwolle, Kunstfasern auf der Haut mochte er nicht) das gleiche wie bei den Anzügen: Die „für gut“ hingen links im Schrank, dann gab es ein Downgrading zu „Alltag“, dann zu „Gartenarbeit“. Kurzer Sommermantel, langer Wintermantel, Stücke, die ewig gehalten haben. So wie die Schuhe. Lederschuhe natürlich, die der Schuster immer wieder flicken konnte. Stabile Schuhe. Ich erinnere mich noch genau, wie mein Vater die ersten Schuhe, die ich mir selbst kaufte, in Augenschein nahm. Die werden nicht lange halten, meinte er. Dann ging er mit den Schuhen in den Keller. Das Leder ist zu trocken, sagte er und rieb sie erst mal gründlich mit Froschfett ein. Schuhe aus den Häuten von Kühen, Abfall zuzusagen, nachhaltiger Abfall. Das einzige nicht-nachhaltige Schuhwerk waren die Gummistiefel für Stall und Garten.

Alles gar nicht so lange her, 60er, 70er Jahre. Damals, liebe Nachgeborenen, brauchte man keinen Spezialladen für nachhaltige Mode. Heute auch nicht, hätte ich auf dem Familienfest zum besten geben können. Aber erstens, wie gesagt, war ich sowieso nicht gefragt und zweitens: Wer mag es schon, wenn der pensionierte Onkel von früher erzählt ….

12 Gedanken zu „Nachhaltige Kleidung

  1. Susanne Haun

    Ich lese deine Geschichten auch gerne, Martin.
    Wenn mich Kollegen*innen fragen, wie ich mit meinem Geld auskomme, dann kann ich als erstes immer sagen, dass ich meine Kleidung 2.Hand kaufe und die Kosmetik bei DM noname. Ach ja, mein Kleiderschrank ist auch bloß 1,50 Meter für alles von der Bettwäsche bis zur Sportbekleidung. Und das ist meiner persönlichen Meinung nach schon sehr viel Platz 😉
    Ich wünsche euch ein schönes 2. Adventwochenende, Susanne

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  2. puzzleblume

    Den Geruch habe ich gleich wieder in der Nase, vom „Froschfett“ und von feuchter, getragener Wolle, an der man schnuppern konnte und wusste, wem das Teil gehört, denn ich erinnere mich auch noch vage an die Zeit der gelüfteten und gebürsteten statt ständig gewaschenen Wollkleider, Mäntel und Anzüge.

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    1. emhaeu Autor

      Als ich den Beitrag geschrieben habe, ist mir aufgefallen, dass mir überhaupt nicht mehr in Erinnerung ist, ob Frauen auch Wolle getragen haben – außer den Wollstrümpfen, über die meine Schwestern sich noch heute aufregen, und den Wollmantel.
      Für die mode- und nachhaltigkeitsbewusste Business-Dame empfiehlt sich ein Hosenanzug aus reiner Merinowolle: https://www.sumissura.com/de/Damen/anzuege/6928-blauer-karierter-hosenanzug-aus-merinowolle?

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      1. puzzleblume

        Haben sie. Ich weiss es, weil meine Mutter eine gute Schneiderin war, die alle Wollkleider und Kostüme, Mäntel und sogar Pullover von sich und meiner Grossmutter später in Kleider, Mäntel, Pullover und Röcke für mich verwandelte. Sie sagte, es sei einfach . Ich erinnere mich an ein Wollkleid meiner Oma, das ich jahrelang als Kleidchen getragen hatte, weil der Saum so reichlich zum Auslassen eingeschlagen war, dass der Rock anfangs doppelt lag. Der glockige Rockteil des taillierten Mantels meiner Mutter aus den 50ern wurde mir in den 60ern ein modisches Cape und so weiter.
        Ich glaube auch nicht, dass dies ein seltenes innerfamiliäres Recycling war. In der Kleinstadt hat sich niemand dafür geniert. Bloss die Jungshosen, denen man ansah, dass sie aus den alten Hosen ihrer Väter genäht waren, die wollte mit dem Aufkommen der Jeans keiner mehr sehen und tragen, da wurde dann schon mal das Gesicht verzogen.
        Übrigens war es zum Ende meiner Schulzeit, als die ersten wieder die Pfeffer-und Salz-Mäntel der Mütter und Kleppermäntel der Väter vom Dachboden holten und trugen.

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      1. Pit

        Na ja, bei hierzulande gekauften Jeans, wo doch sogar Ivanka Trump in Indien oder China produzieren laesst, da weiss ich das wirklich nicht. 😉

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    1. emhaeu Autor

      Danke! Lob kann man immer brauchen ……
      Froschfett ist nicht vom Frosch, sondern eine Markenbezeichnung der Firma Erdal. Seit Jahrzehnten bewährt, ich benütze es inzwischen auch …. echtes Froschfett scheint, obwohl es in alten Heilbüchern vorkommt, etwas aus der Mode gekommen zu sein ….

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