Der kleine Elefant (Zimmerreise V)

Für das Bild habe ich ihn entstauben müssen, den kleinen Elefanten, der in meinem Arbeitszimmer auf dem kleinen Bücherregal steht. Ein indischer Elefant. Aber diese Zimmerreise geht nicht nach Indien. Da war ich nie, habe nur mal für eine Zeitschrift eine Reportage geschrieben, in der ich so getan habe, als ob ich da gewesen wäre. Da lag der Herr Relotius noch in seinem Baby-Bettchen.

In der Zeit, in der ich besagten Artikel geschrieben habe, brachte mir eine Schülerin von ihrem Indien-Urlaub diesen Elefanten mit. Nett, nicht wahr? Ihre Eltern betrieben in einem der Nachbarorte einen Lebensmittelladen. Die Eltern waren auch sehr nett: Wenn ich dort eingekauft habe, bekam ich immer einen Sonderpreis. Und zu einem Familienfest wurde ich eingeladen. Ins China-Restaurant. Bisschen langweilig, aber lecker, da konnte man nicht meckern. Dem Bruder, auch in einer meiner Klassen, habe ich zu einem Stipendium für die Sommerakademie der Hochbegabten verholfen. Der hat mir keinen Elefanten geschenkt, aber eine Postkarte aus den Ferien geschickt. Da freut sich der Lehrer, denn wann bekommt man schon mal eine Ferienpostkarte von einem Schüler?

Die Schülerin war leider nicht so hochbegabt. Sie schlug sich wacker durch die Oberstufe. In meinem Fach waren ihre Klausuren nicht so besonders, aber mehr hätte es nicht gebraucht, um die Hochschulreife zu erringen. Wenn da nur nicht die Mathematik gewesen wäre!

Bei der entscheidenden Mathematik-Klausur hatte ich Aufsicht. Puh, was haben die Schüler geschwitzt! Die Schülerin, die mir den Elefanten geschenkt hatte, schrieb und schrieb und rechnete und rechnete, warf die Blätter weg und fing wieder von vorne an.

Da sah nicht gut aus. Eine Woche später kleine Besprechung beim Chef. Tut mir leid, meinte der Mathelehrer, die Klausur der Schülerin ist völlig daneben. Null Punkte. Da halfen auch meine 6 Punkte nichts. Sie wäre durchgefallen, wenn nicht …

Nein, nicht ich habe eingegriffen, um mich für den Elefanten und den Lebensmittelrabatt zu bedanken. War gar nicht nötig. Der Chef persönlich dekretierte, die Schülerin dürfe nicht durchfallen, der Oberstufenleiter sekundierte. Das kommt nicht in Frage, hieß es. Und so geschah es. Der Mathelehrer zauberte die nötigen Pünktchen aus dem Hut, Abi bestanden. Ob der Chef auch einen Elefanten geschenkt bekommen hatte?

24 Gedanken zu „Der kleine Elefant (Zimmerreise V)

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  3. Anhora

    Wegen Bestechung wandert Sarkozy ins Gefängnis, so kanns gehen! Was bin ich froh, dass das Mädchen mehr Glück hatte. Vielleicht stand in ihrem Zuhause eine ganze Elefantenherde zur Verteilung bereit. Dein Exemplar ist auf jeden Fall hübsch, und die Geschichte dazu auch. 100 Punkte, setzen! 🙂

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      1. emhaeu Autor

        Aber, ehrlich gesagt, da ich an „meiner“ Schule – einem sehr großen Gymnasium – 10 Jahre lang für die Beschaffung von Lehrmitteln wie Schulbüchern und dann auch Computern zuständig war, könnte ich da durchaus härtere Sachen aus dem Beamtenalltag erzählen ….

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      2. emhaeu Autor

        Bestimmt interessant, aber nicht gut für meine Nerven, wenn ich in der Erinnerungskiste zu viel umwühle. Tee und Sofa in der Sonne haben mehr für sich ! In dem Sinne: Schönen Sonntag!

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  4. puzzleblume

    So löblich, dass du vorher ans Abstauben gedacht hast! Mir fällt es immer erst ein, wenn ich meine Fotos schon gemacht habe und Grauschleier oder Flusen entdecke.
    Lehrer mit kleinen Aufmerksamkeiten zu bedenken war in der österreichischen Schulzeit meiner Kinder immernoch beliebt. Heisst es nicht redensartlich für Unausgesprochenes „Es steht ein Elefant im Zimmer“ ?

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      1. emhaeu Autor

        Da gab es dann bestimmt was Gutes zu essen … oder Buttercremetorte, davon ist mir als Kind mal bei einem Geburtstag schlecht geworden, ….

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      2. puzzleblume

        Verständlich. Überhaupt sind Menschen mit ihren Lebensmittel“traumata“ sehr verschieden, aber das Thema, wie es zurm Ablehnung von Griesspudding kam oder weshalb die Leberwurst einem die Schulzeit vergällt hat, Muskat ein Grund zum Ehekrach wurde und ähnliche wird es kaum zwischen Buchdeckel zu schaffen

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  5. Manfred Voita

    So wirkt das Gute einfach auf das Universum ein und kehrt in Punkten zurück. Dem geschenkten Elefanten schaut man nicht ins Maul und geschenkten Punkten forscht auch keiner hinterher.

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  6. Pit

    Ach ja, das Mathe-Abitur: heute, nachdem die Verjaehrungsfrist laneg vorbei ist, darf ich ja darueber reden, dass ich nur mit der guetigen Hilfe meiner Klassenkameraden meine „4“ in der Matheklausur bekommen habe. Die haben aber keinen Elefanten dafuer bekommen.
    Liebe Gruesse,
    Pit

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    1. emhaeu Autor

      Das hätte ich sein können! Ich habe nämlich bei der Mathe-Abi-Klausur einem Freund eine Aufgabe rübergegeben. Das war die einzige, die er dann richtig hatte, aber die „4“ war gesichert. Habe auch nichts bekommen, nur nach 40 Jahren ein dickes Lob!

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